- Wirtschaftsnobelpreis 1973: Wassily Leontief
- Wirtschaftsnobelpreis 1973: Wassily LeontiefDer amerikanische Volkswirtschaftler erhielt den Nobelpreis für »die Entwicklung der Input-Output-Methode sowie für ihre Anwendung bei wichtigen wirtschaftlichen Problemen«.Wassily Leontief, * St. Petersburg 5. 8. 1906, ✝ New York 5. 2. 1999; ab 1921 Studium der Philosophie, Soziologie und Ökonomie, 1927-28 Assistent am Kieler Institut für Weltwirtschaft, 1929 Promotion, 1929-30 Berater der chinesischen Regierung, 1931 Emigration in die USA und Tätigkeit am National Bureau of Economic Research in New York, 1946-75 Professor an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts), ab 1967 Mitglied der französischen Ehrenlegion, Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie von Wassily Leontief entwickelte Input-Output-Analyse gehört zu den wichtigsten Analysemodellen der Wirtschaftspolitik. Leontief hat fast sein ganzes wissenschaftliches Leben der Ausarbeitung, der Verfeinerung und der Anwendung dieser Technik gewidmet.Die Input-Output-Analyse ist eine volkswirtschaftliche Modellrechnung, mit deren Hilfe man wirtschaftliche Prognosen und Simulationen erstellen kann. Der Grundgedanke der hierfür verwendeten Input-Output-Tabellen liegt darin, den Zustand eines Wirtschaftssystems in einem bestimmten Zeitraum in zweidimensionaler Form zu beschreiben. Aus den Tabellen kann man ersehen, welche Güter in welchem Umfang in den einzelnen Produktionsbereichen verbraucht wurden, um eine bestimmte Anzahl von Endprodukten zu erzeugen. Zudem kann man die erforderlichen Einsatzfaktoren wie Sach- und Finanzkapital, Arbeitskraft und Vorleistungen, die wiederum Produkte anderer Bereiche darstellen, miteinander kombinieren. Ein Netz solcher Beziehungen schafft ein System von Faktoren, die direkt und indirekt — über Zwischenprodukte — voneinander abhängen. Dabei werden Konsum-, Investitions- und Exportgüter in die Überlegungen mit einbezogen, um interindustrielle Verflechtungen einer Volkswirtschaft zu verdeutlichen.Frühes Interesse für die VolkswirtschaftLeontief interessierte sich schon in seiner Jugend für volkswirtschaftliche Problemstellungen, was zu einem großen Teil auf den Einfluss seines Vaters, der Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von St. Petersburg war, zurückzuführen ist. Bereits im Alter von 19 Jahren veröffentlichte Wassily Leontief eine wirtschaftliche Bilanz Russlands für das Jahr 1923/24. Nach seinem Studium in St. Petersburg kam er über Deutschland und China in die USA.Die Grundlagen für die bahnbrechenden Arbeiten Leontiefs im Bereich der Input-Output-Analyse finden sich bereits in seiner Doktorarbeit »Die Wirtschaft als Kreislauf«. Auf Einladung des National Bureau of Economic Research in New York kam er nach Amerika und wurde bald danach an die Harvard University in Cambridge (Massachusetts) berufen. Im Rahmen eines Forschungsauftrags erstellte Leontief die ersten theoretischen Input-Output-Tabellen der amerikanischen Wirtschaft für die Jahre 1919 bis 1929. Erst ab 1943 konnte Leontief, dank der Pionierarbeit des Informatikers Howard Aitken, elektronische Großrechner für seine rechenintensive Arbeit nutzen.In den USA wurden später die Effekte der Lohnerhöhungen der 1950er-Jahre, des Ölpreisschocks der 1970er-Jahre und die Auswirkungen von Umweltschutzregulierungen mithilfe von Leontiefs Methoden untersucht und ausgewertet. Der wirtschaftliche Kreislauf konnte nun genau verfolgt werden. Input-Output-Tabellen liefern somit zum einen den Rahmen für eine genaue Beschreibung der Wirtschaftsstruktur und -verflechtung, zum anderen erlauben sie genaue Vorhersagen über die Auswirkungen wirtschaftspolitischer Eingriffe. Beispielsweise ist es also die Aufgabe der Input-Output-Analyse herauszufinden, um wie viel die Produktion erhöht werden muss, um eine bestehende oder geplante Nachfrage nach Konsum-, Investitions- und Exportgütern zu befriedigen. Die Produktionsplanung in den einzelnen Sektoren hat nicht nur die Veränderungen in der Endnachfrage zu berücksichtigen, sondern auch die hieraus abgeleitete Nachfrage nach Zwischenprodukten in den unterschiedlichen Produktionssektoren. Die Verwendung der Input-Ouput-Technik sowohl in einem System dezentraler Marktwirtschaft als auch zentraler Planwirtschaft verdeutlicht ihre vielfältigen Einsatzmöglichkeiten.Während seiner Lehrtätigkeit an der Harvard University übernahm Leontief verschiedene Beratungsaufgaben. Auch nach seiner Emeritierung 1975 reiste er um die Welt, untersuchte Entwicklungsstrategien zu Umwelt und Wachstum und die Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf den Arbeitsmarkt. Er sah schon damals voraus, welche Konsequenzen der technische Fortschritt auf die Einkommensverteilung und die Arbeitslosigkeit haben könnte.Leontief hat sich unter anderem auch mit der Entwicklung der Linearen Programmierung beschäftigt — ein mathematisches Rechenverfahren zur Lösung komplexer Probleme in Betrieben.Das Leontief-ParadoxonNach dem Faktorproportionentheorem von Heckscher und Ohlin spezialisiert sich ein Land auf die Produktion des Gutes, bei dessen Herstellung der relativ reichlich vorhandene Faktor intensiver genutzt wird. Bei einer empirischen Untersuchung über die amerikanische Handelsstruktur für das Jahr 1947 stellte Leontief fest, dass die USA als relativ kapitalreiches Land arbeitsintensive Güter exportiert und kapitalintensive importiert. Dieser Widerspruch zum Heckscher-Ohlin-Theorem wird als Leontief-Paradoxon bezeichnet. Neben einer Reihe von Erklärungsversuchen wurde eine Ursache in der internationalen Inhomogenität der Produktionsfaktoren gesehen. Es wurde argumentiert, dass die Produktivität amerikanischer Arbeiter im Vergleich zu anderen Ländern höher und letztlich auf hohe Investitionen in Humankapital zurückzuführen ist. Aus dieser empirischen Erkenntnis folgte das Neo-Faktorproportionentheorem, das eine Differenzierung der Produktionsfaktoren in Arbeit, Human- und Sachkapital vornahm.Im Auftrag des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen erstellte Leontief mit einem Expertenteam aus allen Teilen der Welt eine umfassende Studie zur Weltwirtschaft in Form eines Systems verflochtener Sektoren. In dieser Arbeit wurde die Möglichkeit einer Halbierung der Einkommenslücke zwischen armen und reichen Ländern bis zum Jahr 2000 aufgezeigt.Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung eines solchen Ansatzes waren allerdings weit reichende Veränderungen im Weltwirtschaftssystem. Da die erforderlichen wachstumspolitischen Maßnahmen in den Entwicklungsländern, die von niedrigen Wachstumsraten in den Industrienationen hätten begleitet werden müssen, ausblieben, ist die angestrebte Verbesserung bis heute nicht eingetreten.R. Füss, G. Vorsatz
Universal-Lexikon. 2012.